Hannover ist auf dem Weg zur 2000. Also ... Inzidenz. Niedersachsen hat diese Zahl bereits erreicht. 2000. Und wir reden darüber keine Masken mehr zu tragen beim Einkauf ... häh?
Wir hatten noch kein Corona. Wir nicht, die Kinder nicht, die Schwiegerkinder nicht. Aber deren Arbeitskollegen, Familienangehörige der Schwiegerkinder, Freunde, Eltern der Freunde, Nachbarn auf der Etage und prompt war die Corona-App des Kindes warnend rot über Tage. Und bei uns warnend rot nach einem Wocheneinkauf: "Sie hatten mehrere Begegnungen mit leichtem Risiko." Und es gab den Kollegen, der nach einem Hunde-Gassi-Gehen mit der Nachbarin von ihr angesteckt war.
Ein südkoreanischer Arzt hat (angeblich) dazu gesagt, wer noch kein Corona gehabt hätte, habe keine Freunde.
Und ich habe so ein seltsames Gefühl: Habe ich etwas verpasst? Ich habe Corona nicht gehabt, ich gehöre nicht zum Kreis, ich kann nicht mitreden! ... Wieso habe ich es noch nicht gehabt? Oder habe ich Corona gehabt und weiß es nur nicht? Weil keine Symptome? Weil es doch kein Heuschnupfen ist und dafür Corona? Weil die ganze Testerei so sicher denn auch nicht ist? Oder drehe ich ganz langsam einfach nur durch?
Dabei waren wir in den letzten Tagen so viel unterwegs mit so viel Ablenkung wie lange nicht. Und mit vielen Ansteckungsmöglichkeiten. Aber wenn ich das Virusgeschehen richtig verstehe, wird sich das erst noch zeigen.
Das Wetter war berauschend frühlingshaft. Blauer Himmel, Sonnenschein ohne Ende, nicht zu warm, aber auch nicht Winterjackenkalt. Wir begannen mit einer Fahrt zum Lindener Bergfriedhof, gleich am Morgen, weil wir dachten, das Licht sei besser, alles leerer ... Jaja, ich wollte eigentlich nicht, dann aber doch. Die Scillas blühen eben nur einmal im Jahr. Jedesmal denke ich, dass die Blüte im vergangenen Jahr üppiger gewesen sei ... Egal ... Es blühte blau - und gelb - und überall waren Leute.
Eine komplette Schulklasse, die über die Rasenflächen tobte und schrie und Blumen pflückte, während die begleitenden Aufsichtspersonen sehr sehr sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Und ich glaube fest, dass alle, wirklich alle Besucher, die sonst noch außer uns da waren, aufatmeten, als sie dann endlich gingen. Der Bergfriedhof ist immer noch ein Friedhof, auch wenn kaum noch Bestattungen stattfinden. Und an den Eingängen hängen Schilder: "Bitte wahren sie die Würde dieses Ortes." Dann gab es die Selfie-Leute. Die, die sich mitten hinein in die Scillas stellten und das aber nicht still und leise, sondern mit lauten Rechtfertigungsmonologen, damit auch jeder der Umstehenden hörte, dass sie das nur ausnahmsweise tun und weil das Handy sonst nicht ... und weil das für das Foto unbedingt und unvermeidlich wichtig war für ihren Account bei Social Media.
An 50 Wochen im Jahr schläft dieser Friedhof einen Dornröschenschlaf, aber zwei Wochen lang fluten die Menschenmassen die Wege, es gibt ein ganzes Veranstaltungsprogramm zum Zwecke, die Massen in die Geschäfte und Gastronomie=Biergarten des Viertels zu locken. Ja, in diesem Jahr gibt es das wieder. Und ich wüsste gern, was die auf dem Friedhof wohnenden Tiere davon halten. Eichhörnchen eins ignorierte alles, grub etwas Essbares zwischen den Scillas aus und schmauste, Eichhörnchen zwei turnte konsequent in den Baumwipfeln, die Rotkehlchen und Tannenmeisen balzten mit Hingabe und Missachtung der Menschen, der Specht klopfte irgendwo in den Bäumen, die Raben schritten die alten Gräberfelder ab und fühlten sich haushoch überlegen. Wahrscheinlich waren sie das auch. In wenigen Tagen würde wieder Ruhe sein.
Mehr vom Bergfriedhof findet Ihr auf der Blogunterseite 'Bergfriedhof', auch einiges über die Geschichte des Friedhofs, des Pavillons und des Tores.