Ich hatte sie ganz lange im Portemonnaie, als Erinnerung. Jetzt habe ich sie weggeworfen: Meine Ehrenamtskarte der Stadt Hannover. Man bekommt sie für sein soziales Gewissen, also wenn man ehrenamtlich arbeitet und zwar nicht nur so ein bisschen, sondern mindestens an 5 Stunden in der Woche und seit mindestens schon 3 Jahren und das auch noch mindestens 5 Jahre lang vor hat. Und wenn man seinen Vereinsvorstand davon überzeugen kann - also vorrechnen kann, dass man auch würdig ist. Dann darf man die Karte beantragen und bekommt mit ihr 3 Jahre lang Preisnachlässe und Rabatte in diversen Bädern, Museen, Bibliotheken und Theatern. Vorausgesetzt, man hat neben Job, Familie und Ehrenamt überhaupt noch Zeit für diese Dinge. Ich gehörte damals zu den auserwählten Hannoveranern, die die Karte persönlich vom Bürgermeister im Rathaus überreicht bekamen und hinterher warmen Sekt und lasche Häppchen. Ich wollte meinen Mann mitnehmen, zwecks fotografischer Dokumentation, aber das brachte die Organisatoren in Unruhe, wenn das jeder täte ..., dann reichten ja die Häppchen nicht ... Und ich wäre dann gerne mit dem Schrägaufzug in die Rathauskuppel gefahren, aber dafür gab es keine Vergünstigung seitens der Stadt Hannover.
Aber ich will nicht zu viel meckern, denn ich durfte an ganz speziellen Ehrenamtskartenbesitzer-Gewinnspielen teilnehmen und habe zweimal Karten für Hannover96-Spiele gewonnen.
Das ist so eine Sache mit dem sozialen Gewissen. Natürlich hängt es mit den eigenen Lebensumständen zusammen, die einen mit Dingen in Berührung bringen. Mein Vater sagte dazu: "Wenn du willst, dass sich etwas verändert, musst du selbst etwas tun."
Als unsere Kinder in einen Waldorfkindergarten gingen, war das ganz selbstverständlich, das "selbertun", sich einbringen. Das machten - fast - alle und für unsere Kinder war es Teil ihrer Kindergartenzeit und für uns wertvolle Erfahrung.
Dann kamen die staatlichen Schulen und mit ihnen freiwillige ehrenamtliche Tätigkeit in Elternvertretungen, als Lesemutti, in Fördervereinen. Aber auf einmal war das nicht mehr selbstverständlich, sondern höchst verdächtig und wenn andere Kinder fragten, warum die Mutter ihre Nase denn in alles stecken müsse, dann war klar, wie an den Abendbrottischen der Schuleltern ehrenamtliches Engagement gewertet wurde.
"Hat sie denn nichts Besseres zu tun?" "Arbeitet sie eigentlich auch etwas?" bis hin zur Vermutung, das Ehrenamt sei bezahlter Minijob. "Warum machen Sie das denn sonst?" In den Augen anderer Eltern war Engagement, das über Brötchenschmieren und Ausflügebegleiten hinausging, höchst suspekt und höchstens damit zu rechtfertigen, Informationsvorsprünge und Vorteile für das eigene Kind zu ergattern. Es war auch ein Problem mit den Lehrern, die ja grundsätzlich das Brötchenschmieren und so weiter gut fanden, ja, nur so lange man nicht fragte warum und wieso, denn sie empfanden sich nicht nur als Autorität vor den Schülern, auch als solche vor den Eltern. Es war ein Problem vor allem mit den Lehrern mit "Manko", die eine Nähe zur Schulleitung sahen, die ihnen gefährlich werden konnte und die das spüren ließen. Eltern und Kinder. Und ja, mein Sohn hat eine Biologie-Hausarbeit schreiben müssen, weil ich mich über massiven Stundenausfall seines Lehrers beschwert habe, ein Lehrer, der inzwischen ins Ministerium befördert wurde ...
Als unsere Kinder von der Schule ins Leben gegangen waren und wir noch einmal zum Weihnachtskonzert fuhren, war die Frage "Was willst du denn noch hier? Deine Kinder sind doch fertig!"
Da habe ich beschlossen, dass es mir reicht mit den Ehrenämtern. Dass ich nicht mehr belächelt werden möchte, nicht mehr für Interessen anderer ausgenutzt, dass ich mich nicht mehr verteidigen will, weil ich mich verantwortlich mache. Wir Frauen neigen dazu uns verantwortlich zu fühlen und das ist gefährlich. Und ich habe für mich einen Stopp gesetzt.
Aber jedesmal, wenn unsere Politiker nach ehrenamtlichem Engagement rufen und dass der Staat nur damit funktioniere und wenn in Zeitungen besorgt festgestellt wird, dass auf dem Land die Vereine ausstürben, weil sie keiner mehr führen wolle, weil damit keine gesellschaftliche Anerkennung mehr verbunden sei ... dann fällt mir all das wieder ein.