In Hamburg wurde Hafengeburtstag gefeiert, Schleswig-Holstein wählte sich einen neuen Landtag, Frankreich wählte sich einen Präsidenten. In Hannover gab es nur ein Thema: die Entschärfung einer Reihe alter Bombenblindgänger auf einem Grundstück in der Stadt.
Seit Wochen dominierte es die Zeitungsberichterstattung, wir waren bestens informiert über die große Baustelle in Vahrenwald, über die vielen Verdachtspunkte (anfangs 12) und erste Erkundungen, wo denn tatsächlich Bomben liegen könnten, über das große Areal, das von den Hannoveranern (ca. 50.000) für die Entschärfung verlassen werden musste und über die Angebote in der Stadt zum Vertreiben der Zeit, bis alle wieder in die Wohnungen durften.
Wir haben in Hannover schon viele Entschärfungen erlebt, manchmal ging die Evakuierungszone bis zur nächsten großen Kreuzung und manchmal auch mussten die Menschen von jetzt auf gleich aus den Wohnungen und die Nächte in Sammelunterkünften verbringen oder wie unser Sohn schnell zu uns Eltern.
Aber daran gewöhnt haben wir uns nie.
Auch wenn sich eine gewisse Routine entwickelt hat... das ist nie "same procedure as every year", sondern eine sehr gefährliche Sache und deshalb ist der HAZ-Liveticker zur Bombenentschärfung bei uns so ziemlich der einzige Ticker, der jedesmal die ganze Zeit läuft.
Wir hatten dieses Mal fest damit gerechnet, dass unsere Tochter den Tag bei uns verbringen müsste, aber die Grenze der Evakuierungszone verlief tatsächlich 2 Häuser von ihr entfernt. Sie konnte vom Balkon aus die Absperrmaßnahmen verfolgen und die Übertragungswagen der Fernsehanstalten sehen und ungewohnte Stille mitten in der Stadt empfinden. Bis die erleichternde Nachricht kam: drei Blindgänger entschärft.
Diese Bombenfunde in unserer Stadt bringen den Krieg ins Gedächtnis zurück, den Krieg vor unserer Haustür. Die ganze Schrecklichkeit und Zerstörung, auch in den Herzen der Menschen und den Köpfen. Krieg geht nicht spurlos vorbei, denn Krieg ist kein Computerspiel. Die Halbwertzeit der Kriegsfolgen, wie lang ist sie? Auch wenn die, die den Krieg direkt erlebt haben, wie meine Großeltern und Eltern, nicht mehr leben, müssen die Kinder und Enkel und Urenkel und Ururenkel und... mit den Folgen leben. Und das Schlimmste ist, die Menschheit ist noch immer nicht erwachsen.
1941 wurde der erste große Luftangriff auf Hannover geflogen und der letzte im März 1945. Es waren 125 Luftangriffe, Tausende von Bomben fielen und geschätzt ein Fünftel von ihnen explodierte nicht. Niemand weiß, wieviele noch in Hannovers Boden liegen und die Gefahr, dass sie von selbst detonieren, wird, je älter sie werden, immer höher. Vor einigen Jahren wurde im Viertel nebenan eine Bombe direkt vor der Terrasse eines Einfamilienhauses entschärft...
Niemand auf dieser Welt sollte sich dafür feiern, dass er eine Bombe abgeworfen hat.